Das Cruising Area im Großen Tiergarten ist schon legendär. Von außen nicht zu sehen, aber wer den ausgetretenen Pfaden ins Dickicht folgt, trifft westlich der Fasanenallee zu jeder Tageszeit Männer, die den schnellen Sex suchen. Junge Flüchtlinge und Osteuropäer verdienen sich hier einen schnellen Euro, aber auch schwule Pärchen, denen der Weg nach Hause zu lang ist.
Vor allem aber sind es Männer, die sich zufällig dort treffen. Sie sind erregt, auf der Suche nach einem schnellen sexuellen Abenteuer. So richtig geht es jedoch erst am Abend los. Bis in die frühen Morgenstunden hinein bieten sie dem unwissenden Passanten ein merkwürdiges Bild: Wer um Mitternacht dort spazieren geht, wundert sich vielleicht über die vielen Männer, die am Rand stehen. Manche in kleinen Grüppchen, die meisten aber stehen einfach nur da, total unbeteiligt, als wenn sie auf den Bus warten. Einige sind extrem knapp bekleidet, nur mit engem Lederschlüpper oder Turnhose und Muskelshirt. Kommt jemand vorbei, wird er genau taxiert, von oben nach unten. Passt er ins Beuteschema? Kennt man ihn vielleicht? Zeigt er ebenfalls Interesse?
Cool sein ist in dieser Situation das Wichtigste, bloß nicht zu schnell anbeißen. Wenn der andere gezuckt hat, den Blick erwidert, seinen Gang verlangsamt, dann gehen geht es los. Entweder schlendert man ihm unauffällig hinterher oder er selber bleibt stehen, dreht sich um. Man lockt sich gegenseitig. Wenn beide erstmal angebissen haben, begingt die meist kurze Konversation: „Na.“ – „Haste Lust?“ – „Na klar.“
Zusammen gehen sie ein paar Meter den Weg durch den Park, bis eine der vielen Pfade ins Gebüsch führt. Dort verschwinden sie dann, lehnen sich an einen Baum, ziehen sich gegenseitig aus und haben Sex in jeglicher Form. Es stört auch nicht, wenn am nächsten Baum ein anderes Pärchen vögelt, manchmal tun sie sich sogar zusammen, gelegentlich bilden sich ganze Gruppen.
Wenn in einer warmen Sommernacht sehr spät manchmal 100, 200 Männer dort unterwegs sind, geht es auch mal direkt auf dem Weg zur Sache. Das macht die anderen an, die dann mitmachen. Wenn alle fertig sind, verschwinden die Beteiligten zur Straße oder quer durch den Park zur nächsten Bahn.
Da gibt es die harten Kerle, mit ihren am Hintern ausgeschnittenen Lederhosen. Die angetrunkenen türkischen Männer, die tagsüber brave Bürger sind. Manche Studenten kommen mit dem Fahrrad, schleichen über den Rasen und die Wege. Alle haben die Augen überall, besonders in den Neumondnächten, in denen es hier besonders finster ist.
Als ich mal als junger Mann dort war, machte die Polizei nachts hier Razzien. Sie umstellte den Park und jagte alle, die sie kriegen konnten. Die bekamen dann Strafanzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Dabei war das einzige Ärgernis die Polizei selbst.
Klar kann es auch gefährlich sein. Eine Gruppe von drei, vier arabischen Jungs zogen öfters lautstark quer durch diesen Teil des Parks und versuchten, schreckhafte Cruiser einzuschüchtern. Eines Nachts griffen sie jemanden an, der daraufhin um Hilfe rief – und es kamen genug, um den Jungs klarzumachen, dass sie dort nicht mehr erwünscht sind.
Und es gibt die andere Gefahr. Viele praktizieren hier ungeschützten Sex, ihre Geilheit schaltet das Gehirn aus und wenn es am nächsten Tag so komisch juckt oder nach einige Monaten eine HIV-Diagnose kommt, ist es zu spät, um ein Kondom zu benutzen.
Das Cruising nachts im Tiergarten ist für manche die einzige Gelegenheit, Sex zu haben. Sie sind in ihrem Alltag nicht geoutet und gehen auch nicht in Clubs oder Bars. Sie finden hier eine schnelle Befriedigung, anonym und ohne weitere Verpflichtungen. Das kann man moralisch verwerflich finden, aber es bleibt jedem selbst überlassen. Es ist der Vorteil der Großstadt.
Ein guter Freund von mir seufzte kürzlich: „Schade, dass es sowas nicht auch für Heteros gibt“.